Gott ist tot

Das Wort „Bogumer“ ist die Transkription des russischen Ausdrucks „Бог умер“, was auf Deutsch „Gott ist tot“ bedeutet. Es ist ein Stück über Macht und Machtmissbrauch, entwickelt von der spanischen Compagnie Cia Vero Cendoya. Ich besuchte das Stück im Rahmen des NO LIMITS-Festivals im HAU1.

Das Licht erlischt und der Vorhang öffnet sich. Bevor man sich genauer anschauen kann, was auf der Bühne geschieht, wird auch schon ein Text ein Statement auf der Projektion oberhalb der Bühne angezeigt, mit dem sich die Performancemacher*innen gegen den Krieg positionieren. Auch wenn das Stück schon vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine entwickelt wurde, scheint dieses Statement angemessen, denn es steht ein Abend über Russland und Machtmissbrauch an, der ohne das vielleicht einen bitteren Beigeschmack hinterlassen könnte.

Zu Beginn ist eine Art Käfig aus weißen Seilen, in dem eine Performerin auf einem Laufband läuft, zu sehen. Ihre Schritte sind deutlich zu hören und verleihen dem Geschehen einen gehetzten Eindruck. Schräg hinter ihr aufgereiht sind drei Darsteller*innen, die in deckenartige Umhänge gehüllt und zugleich am Oberkörper gefesselt sind, sodass sie kaum ihre Arme bewegen können. Hinter dem Käfig ist der Kopf einer Performerin zu sehen, die in einem schwarzen Kleid erhöht über das Geschehen wacht. Sie wird gespielt von der Compagnie-Gründerin Vero Cendoya. Dass gerade sie eine erhöhte Position außerhalb des Käfigs einnimmt, während alle anderen Darsteller*innen sich darin befinden, ist ein starkes Eröffnungsbild.

Angefangen mit der attischen Seuche zählt sie die Epidemien der Weltgeschichte samt Todeszahlen auf. Bei dem Vorlesen der vielen Epidemien und Naturkatastrophen, die es auf der Welt gab und der Angabe, wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen sind, empfand ich zunächst eine sehr bedrückende Stimmung. Viel erschreckender war es dann aber im Nachhinein, als nach der Aufzählung der zehnten Epidemie, dieses Gefühl der Bedrückung langsam verschwand, ebenso wie die Relation zu den hohen Zahlen der Verstorbenen.

In der Mitte des Bildes trägt ein Mann eine Frau in den Armen, beide sind in deckenähnliche Stoffe gehüllt. Hinten rechts und hinten links stehen drei weitere Performer*innen, die mit gesenktem Kopf den Boden betrachten. Umgeben sind sie alle aus einem Käfig aus Seilen.
Die Performer*innen von Cia Vero Cendoya machtlos gefangen im Seil-Käfig; Foto: Kiku Pinol

Die Szenerie ändert sich schlagartig, als die Sprecherin von der Seite und von oben angestrahlt wird. Das Bild erinnert mich an Jesus am Kreuz. Sie beginnt von einem Prozess zu erzählen, der 1918 in Moskau gegen Gott geführt wurde. Ankläger war Anatoly Lunacharski. Gott wird für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Das Urteil wird durch mehrere Schüsse in den Himmel vollstreckt. Nicht nur, dass es absurd klingt, dass es diesen Prozess wirklich gegeben hat, es ist zugleich auch in sich wieder eine Machtdarstellung. Nach der Revolution war dies ein Akt der Befreiung von jeglichen Führungsmächten und demonstriert doch auch selbst wieder Macht und liefert so den thematischen Ausgangspunkt des Stücks. Als eine*r der Performer*innen mit fast unerträglicher Lautstärke in den Himmel schießt, fällt das Seil-Gefängnis zu Boden. Beseelt von ihrem Triumph und der neugewonnenen Freiheit, die sie dadurch verspüren, verfallen sie in eine Euphorie, die einem Fest gleicht.

Im weiteren Verlauf wird die Geschichte von Juri Gagarin erzählt. Das Publikum sieht wie er in die Raumkapsel steigt, wieder zurückkehrt und von allen Menschen – ganz unabhängig von ihrer Nationalität – gefeiert wird. Nachdem sich Russland im Nachgang der Revolution also bereits zugetraut hat, über Gott zu richten, inszeniert es sich mit Gagarin als Held, auf den die ganze Welt bewundernd blicken kann. In einer der nächsten Szenen drillt eine Trainerin für rhythmische Sportgymnastik ihre uniformierten Schützlinge, die eine beeindruckende Kür vorführen. Sie ist jedoch nicht zufrieden mit der Performance und betitelt sie als „erbärmlich“. Beschimpfung und Kritik werden fortgeführt, bis eine der Sportler*innen die Trainerin kurzerhand erschießt. Hier findet eine Umkehrung der Machtverhältnisse statt. Nachdem die Trainerin zunächst die völlige Kontrolle über ihre Sportler*innen hatte, befreit sich die Gruppe mit der Ermordung von ihr.

Zuletzt wird die junge Performerin, die den Schuss tätigte, zum Star. Sie trägt ein golden funkelndes Kleid und performt gemeinsam mit den anderen in ihrem Rücken zu einem Popsong. Sie suhlt sich in ihrem Ruhm und winkt dem Publikum zu, bis auch sie erschossen wird. Die Bühne wird dunkel und „BOGUMER“ steht in großen Buchstaben darüber.

Die verschiedenen Beispiele, die die Choreografin Vero Cendoya gefunden hat, um Machtverhältnisse und auch Versuche, sich aus ihnen zu befreien, darzustellen, waren sehr eindrücklich. Nach der Performance fand ein Publikumsgespräch statt, in dem auch ein Vergleich zu Katalonien gezogen wurde. Es wurde deutlich, dass es vor allem darum ging, wie sich Menschen von Machtinstanzen zu befreien versuchen. Dieser Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit ist es also, wofür „Bogumer“ letzlich steht.