Ein Aufführungsbericht in einfacher Sprache
Es ist Mittwoch, der 13. November 2024. Am Abend sehe ich das Stück „Ôss“ beim NO LIMITS-Festival. Es ist vom portugiesischen Theaterensemble Dançando com a Diferença und der Choreografin Marlene Monteiro Freitas. Neun Darsteller*innen bespielen die Bühne: Bárbara Matos, Bernardo Graça, Joana Caetano, Maria João Pereira, Mariana Tembe, Milton Branco, Rui João Costa, Sara Rebolo und Telmo Ferreira. Die Aufführung verbindet Tanz, Musik und Theater. Sie lässt die Zuschauer*innen in eine Welt voller Gesten, Zeichen und offener Fragen eintauchen.
Die ersten Eindrücke
Zu Beginn ist die Bühne mit einem hellblauen Vorhang verdeckt. Links vorn steht ein DJ-Pult. Ein junger Mann betritt die Bühne. Er trägt knallroten Lippenstift. Seine blaue Sporthose erinnert an einen Thaiboxer. Er greift zum Mikrofon und ruft laut. Er fordert das Publikum auf, zu jubeln und zu klatschen. Seine Energie ist ansteckend. Dann beginnt elektronische Party-Musik. Sie ist so rhythmisch, dass ich Lust habe, mich mitzubewegen. Plötzlich stoppen die Beats und stattdessen erklingt eine Opernarie.
Der Vorhang geht auf, und das Bühnenbild wird sichtbar. Es ist voller Details. In einer Ecke steht eine Turnstange. In der Mitte gibt es eine Konstruktion, die einem Altar ähnelt. Rechts stehen Stühle und ein Podest. Hinten an der Wand sind große Ventilatoren befestigt. Eine Blechwanne wird nach vorne getragen. Darin sitzt eine Frau, eingewickelt in ein weißes Tuch. Das Bühnenbild erinnert an eine Mischung aus Krankenhaus, Schiffskajüte und Sportstudio. Es verbindet Gegensätze: hart und weich, offen und geschlossen. Klinisch weiß und doch auch bunt.
Die Darsteller*innen tragen verschiedene Kostüme. Ich erkenne Polizist, Pilot, Journalist, Arzt, Krankenschwester. Die Uniformen werden sie untereinander wechseln. Diese ständigen Verwandlungen lassen mich darüber nachdenken, wie Menschen sich im Alltag durch Kleidung verändern. Es ist als ob sie hier verschiedene Rollen kurz ausprobieren.
Und die vielen Fragen
Die Bewegungen der Performer*innen wirken präzise einstudiert. Mal bewegt sich nur eine Person. Mal folgen die anderen und kommen zusammen. Mal bewegt sich jede*r verschieden für sich. Eine Kamera wird durchgereicht und blitzt auf. Es fühlt sich an, als würden alle beobachtet. Es gibt eine Szene, die wie eine unheimliche Geburt aussieht. Und schon kommt die nächste Szene. Es wird auch immer mal kurz gesprochen, aber ich verstehe ihre Sprache nicht. Dann wird die Musik wieder laut und es wird getanzt. Es ist chaotisch und ich frage mich, was wie ich all das deuten soll. Eine Darstellerin fragt das Publikum: „Do you know how to castrate a pig?“ – „Wisst ihr wie ein Schwein kastriert wird?“ Sie beschreibt es bildlich. Das Publikum lacht. Auch der Moment wirkt merkwürdig, weil ich den Kontext nicht verstehe.
Auf der Website des Festivals steht, das Stück beschäftige sich mit dem „Innen und Außen menschlichen Seins“. Es solle um Festes und Weiches gehen. (Der Titel bedeutet „Knochen“ aus dem Kreolischen ins Deutsche übersetzt.) Doch auch nach der Aufführung bleibt das für mich unklar. Ich frage mich, was die vielen Szenen bedeuten könnten. Es ist wie ein Rätsel. Vielleicht geht es um feste Muster, mit denen wir uns im Alltag bewegen? Vor allem bei Ärzten, der Polizei – und auch der knipsenden Presse? Am Ende gibt es Standing Ovations. Zurecht, denn die Energie der Darsteller*innen ist stark und konzentriert. Auch wenn ich viele Fragen habe, hat mich die Aufführung beeindruckt. Denn sie bringt mich zum Nachdenken – und vielleicht ist genau das der Sinn.