Was bedeutet es, sich zu entblößen – körperlich, emotional, menschlich? Die Performance „Undressed“ (2023) sowie die Version „Schrumpf! Undressed“ von tanzbar_bremen wagt sich an diese Fragen heran und lädt das Publikum auf eine ungewöhnliche Reise ein: Zwischen humorvoller Leichtigkeit, intimer Verletzlichkeit und explosiver Befreiung entfaltet sich ein Tanztheater, das Konventionen sprengt und nachhaltig beeindruckt. „Schrumpf!“ ist dabei der konzeptionelle Entwurf des inklusiven Vereins tanzbar_bremen, Tanztheater auch für Kinder zugänglich zu machen.
„Schrumpf! Undressed“ eröffnet anders als „Undressed“: Hier wird das Publikum vorab eingeladen, sich die Schuhe auszuziehen und aktiv am Aufwärmen der Tänzer*innen auf der Bühne teilzunehmen. Strecken, Schütteln und wildes Umherlaufen verbinden Zuschauer*innen und Performer*innen kurzzeitig, bevor sich beide Seiten wieder in ihre gewohnte Rollenverteilung begeben.
Die Inszenierung von Tomas Bünger beginnt in gedämpftem Licht mit einer Reihe von Performer:innen, die in bunten Kleidern das Volkslied „In einem kühlen Grunde“ von Joseph von Eichendorff durch Gestik und Mimik individuell interpretieren. Darin geht es um eine verlorene Liebe und die eigene Einsamkeit, die damit einhergeht. Kurz danach tritt ein Mann mit Clownsnase auf und bricht die Stimmung mit einer humorvollen Note, während ein kämpferisches Solo zwischen Ernsthaftigkeit und Komik schwankt. Die Szenen folgen einer losen Dramaturgie und wechseln zwischen Gruppen- und Einzelchoreografien.
Chaos entsteht, als alle Performer*innen wild durcheinander rennen und schließlich Paare bilden. Diese führen synchrone Tanzbewegungen zu schwungvoller Discomusik aus. Eine Nebelmaschine und bunte Scheinwerfer verstärken die surreale Atmosphäre, während ein Duo mit einer ausdrucksstarken Performance die Bühne einnimmt. Dabei schauen sie ernst in das Publikum und holen weit mit ihren Bewegungen aus, sodass diese schon fast aggressiv wirken. Als die Musik verstummt, hört man allein den Klang der Atemgeräusche – ein eindringlicher Moment, denn hier wird offengelegt, welche Geräusche auf der Bühne durch die Musik überdeckt werden.
Ein zentrales Motiv der Tanzperformance ist das Entkleiden. In einer Szene bilden die Performer*innen eine Reihe und ziehen ihre Kleider aus, bis sie nur noch in Unterwäsche dastehen. Es folgt ein eindringliches Solo einer der Tänzerinnen. Mit bedrücktem Gesichtsausdruck und zugleich kraftvollen Bewegungen scheint sie sich an unsichtbaren Hindernissen abzuarbeiten. Doch dann dreht sie sich zu den anderen Performer*innen um, die nun nur noch Unterwäsche tragen, und zieht ihr Kleid ebenfalls aus. Es wirkt fast so, als hätten die anderen sie dazu ermutigt, sich im doppelten Sinn auch zu entblößen. Die Reihe tritt nun zu ihr nach vorne ins Rampenlicht und schaut in das Publikum. Ein beeindruckender Moment, der mich und sichtbar auch andere Zuschauer*innen emotional berührt und Stärke zeigt.
Der Abend spielt immer wieder mit der Grenze zwischen Schwere und Leichtigkeit, was sich mit zeitgenössischem Tanz gut verbindet. Ein nackter Tänzer, der in einer Szene selbstbewusst Ballett tanzt, endet mit einem Akt der Scham, als er breitbeinig vor dem Publikum zum sitzen kommt, um sich schließlich abzuwenden. Ein anderer Tänzer wirft Konfetti in die Luft, gleichzeitig ertönt Popmusik und ein anderer fängt an, im selben Takt Schlagzeug zu spielen. Ein bemerkenswerter Unterschied zeigt sich in dieser Szene zwischen der Kinder- und Erwachsenenfassung: Während der Performer in der Kinderfassung ausgelassen und fröhlich wie auf einer Party tanzt, gestaltet er seine Performance in der Erwachsenenversion mit anderen Tanzbewegungen, anmutig präsentiert er selbstbewusst und stolz seinen nahezu unbekleideten Körper.
„(Schrumpf!)Undressed“ ist ein facettenreiches Tanzstück, das mit Intimität, Scham, Humor und Befreiung spielt. Es hinterlässt einen tiefen Eindruck, nicht zuletzt aufgrund des direkten Umgangs mit den Themen Intimität, Körperlichkeit und Gemeinschaft. Auch die Choreografie überzeugt durch ihre tänzerische und emotionale Vielschichtigkeit. Die fragmentarische Struktur fordert die Zuschauer*innen heraus, belohnt aber mit bewegenden und überraschenden Momenten. Ein Abend, der sowohl für Erwachsene aber gerade auch für Kinder einen bleibenden Eindruck hinterlässt.