Tücken der Interaktion

Ein Erfahrungsbericht

Am Morgen des 13. November 2024 begebe ich mich auf den Weg zum Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg, um die Inszenierung „Kompost-Horror“ von Manuel Gerst, Leonie Graf in Zusammenarbeit mit dem Ensemble des Theater Thikwa zu erleben. „Kompost-Horror“ feierte bereits im Oktober 2022 Premiere und wird nun im Rahmen des NO LIMITS-Festivals wiederaufgeführt. Es erwartet mich eine interaktive Performance, bei der man selbst Teil der Geschichte wird.

Liebe auf den ersten Wurm?

Insgesamt fünf Darsteller*innen sind auf der Bühne. Drei davon tragen eine schwarze trichterförmige Maske. Das sind die "Maulgreifer". Die anderen zwei sitzen als Würmer links und rechts auf Hochsitzen. Ihre langen Wurmkörper-Kostüme schlängeln sich um die Scheinwerferreihe. Es ist neblig. Die Scheinwerfer erleuchten die Bühne.
Szenenbild “Kompost-Horror” mit Regenwürmern rechts und links und darunter den Maulgreifern, Foto: Sinje Hasheider

Das Publikum betritt den Saal und wird von zwei winkenden Regenwürmern begrüßt. Die zwei sitzen je links und rechts auf einer Art Hochsitz und ihr meterlanger Unterkörper schlängelt sich um eine Scheinwerferreihe. Der Raum wird von Nebel, buntem Licht und dumpfen Tönen, welche an Glockenschläge erinnern, gefüllt. Schwarz gekleidete Darsteller*innen betreten die Bühne. Sie tragen trichterförmige Masken, welche mich an Pestmasken aus dem Mittelalter erinnern. Parallel vorgetragene und sich gegenseitig ergänzende Monologe der Würmer beginnen, die Zuschauenden über den Zustand der Natur aufzuklären: „Vor langer Zeit gab es eine schreckliche Dürre.“ Um eine weitere (Klima-)Katastrophe zu verhindern, werden wir per Zufall in „Abenteuergruppen“ eingeteilt, deren Mission lautet: „Rettet die Zauberpflanze, denn diese macht die Erde fruchtbar!“ Da die Zauberpflanze sehr beliebt sei, sei auch die Spinne Tarantulia hinter ihr her. Und diese Spinne könne von nichts und niemandem vertrieben werden – außer vom Geruch von Lavendel.

Teamwork gegen Trauermücken und Maulgreifer

Das erste Spiel: Abenteuergruppe Nummer eins gegen die „Maulgreifer“. Die Maulgreifer sind Darsteller*innen, welche mit schwarzen Kostümen und großen Zangen ausgestattet sind, und versuchen, ihre Gegenspieler*innen damit zu zwicken. Auf einem großen Bildschirm wird ein Würfel angezeigt, der durch Klatschen, Trampeln oder Rufe der Zuschauer*innen aktiviert wird und angibt, wie viele Schritte gegangen werden dürfen, bis man eine Karte aufdeckt, unter der sich bestenfalls die Zauberpflanze versteckt. Da ist sie! Das Licht wird blau, erinnert an UV-Licht und zeigt nun das Spinnennetz, mit welchem sie die Pflanze eingesponnen hat.

Eine Nahaufnahme der "Maulgreifer" mit ihren Zangen. Im Vordergrund ist groß und leicht unscharf ein Maulgreifer und im Hintergrund sind die anderen beiden. Es befindet sich ein Bildschirm auf der Bühne hinter ihnen, der einen Spielwürfel zeigt.
Die Maulgreifer des “Kompost-Horrors” befinden sich in den Startlöchern, Foto: Sinje Hasheider

In einem weiteren Spiel gilt es für die zweite Abenteuergruppe, verschiedene Komponenten zu einem Kompost zusammenzubringen, um sich gegen die larvenlegenden Trauermücken behaupten. Abenteuergruppe drei wird mit dem Einsammeln der Larven und dem Tunnelbau der Regenwürmer beauftragt. Als die Regenwürmer die Larven verspeist haben, verlängern sich die Unterkörper der Würmer. Sie schlingen sich nicht mehr nur um die Scheinwerfer, sondern hängen lianenartig herunter. Damit ist das Spiel gewonnen und die Zauberpflanze wächst wieder! Doch aus dem Nichts zieht ein bläulicher Nebel auf, und mit ihm: Tarantulia. Zum Glück wird eine Zuschauerin daran erinnert, dass die Spinne Lavendel nicht leiden kann und besprüht diese sogleich damit. Und so kommt es doch Happy End.

Vom Horror fehlgeleitete Interaktion 

Im Nachgang tausche ich mich mit einer Mitarbeiterin des Theaters über das Erlebte aus. Die Inszenierung möchte mit der Altersempfehlung ab acht Jahren ein junges Publikum auf interaktive Weise an Themen wie den Klimawandel heranführen. Für die erwünschte Interaktion braucht es aber auch ein kooperatives Publikum. Mit mir besuchten zahlreiche Schüler*innen aus drei verschiedenen sechsten Klassen „Kompost-Horror“. Während der Aufführung vernahm ich bereits abwertende Bemerkungen und ein tendenziell respektloses Verhalten gegenüber den Darsteller*innen, insbesondere dem mixed-abled Thikwa-Cast. Ich wundere mich, warum die Lehrkräfte bei solch einem Verhalten ihrer Schüler*innen nicht eingreifen. Weil das die Aufführung stören würde? Hätte eine Einführung geholfen? Die Mitarbeiterin verweist auf das Material, das für Schulen auf der Internetseite des Theaters hinterlegt sei, ihrer Erfahrung nach aber von Lehrkräften häufig unbeachtet bliebe.

Bei mir bleibt nun diese „Horror“-Erfahrung hängen, was einerseits schade ist, andererseits mich aber auch ermutigt, nachzudenken, wie man mit solchen Situationen für alle Beteiligten am besten umgehen könnte. Vielleicht mit einer Runde gemeinsamen Kompostierens im Anschluss?