Wenn Theater wirklich etwas verändern kann. Ein Gespräch mit Schauspieler Leonard Grobien

Stella Ankermann und Lotte Oberpichler: Lieber Leonard, vielen Dank für die Zeit und Bereitschaft, uns zu einem Gespräch zu treffen. Wir haben uns auf ein ‚Du‘ geeinigt. Möchtest Du Dich zunächst kurz selbst vorstellen?

Leonard Grobien: Ich heiße Leonard und ich bin Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur. Ich wohne in Berlin und bin in Bonn geboren. In Köln habe ich Drehbuch studiert und bisher Theater, Film, Kurzfilm und alles Mögliche gemacht.

Stella Ankermann: Wie bist Du Teil der Inszenierung „Die vielen Stimmen meines Bruders“ geworden?

Leonard Grobien: Ich war das letzte fehlende Stück im Team und diese Rolle war länger noch nicht besetzt. Es war meine erste größere Produktion am Theater überhaupt. Ich befand mich noch im Studium. Im letzten Januar kam dann die Anfrage und einen Tag später trafen wir uns hier in Berlin. Dort lernte ich fast das ganze Team kennen.

Lotte Oberpichler: Wie hast Du Dich auf die Rolle vorbereitet? Erfolgten eine bestimmte Recherche, Übungen oder Techniken, die Du angewendet hast?

Leonard Grobien: Ich habe viel mit Magdalena Schrefel und Valentin Schuster, die das Stück geschrieben haben, geredet. So habe ich viel über die Rolle gelernt und auch nicht nur über Valentin als echte Person, sondern auch, was ich selbst als andere Persönlichkeit mitbringen kann und zwangsläufig mitbringe, weil ich ein anderer Mensch bin und auch eine andere Behinderung habe. Ich bin so an diese Rolle herangegangen, wie bei anderen Rollen auch. Ich versuchte, Gemeinsamkeiten zu sehen, aber auch die Unterschiede ganz klar herauszufinden und sie mir bewusst zu machen, damit ich in genau die hineinspielen kann.

Stella Ankermann: Gab es irgendwelche speziellen Herausforderungen oder Hürden?

Leonard Grobien: Es war mein erstes Theaterstück. Direkt in einer ziemlich mächtigen Größe und auch auf einem Niveau, das sehr hoch ist und dann direkt in Wien, der Theaterhauptstadt Europas. Das ist alles ist ein ziemlich hoher Standard gewesen. Und ich hatte Lust, diesen zu erreichen. Ich wurde gut aufgenommen vom ganzen Team und konnte sehr viel lernen: Zum Beispiel meine Stimme anders einzusetzen, um auch die letzte Reihe zu erreichen, egal, ob ich laut oder leise bin. Dann die Menge Text zu beherrschen. Dann muss man alle Facetten gleichzeitig kennen und wissen: Es gibt Streit, gemeinsame Trauer und es gibt Euphorie. Es gibt lustige Momente, ganz viele. Und denen muss man sich immer bewusst sein. Es war ein großes Lernen, vor allem in einer sehr kurzen Probenzeit von drei Wochen. Das war eine Sondersituation für den Rest des Teams, aber ich kannte das nicht anders. Es war sehr intensiv. Allein in diesem kurzen Prozess konnte ich schon viel lernen und lerne jetzt noch bei jeder Aufführung weiter. Es ist ein sehr schöner Prozess, das immer wieder spielen zu dürfen.

Lotte Oberpichler: Wie hast Du die Resonanz zum Stück wahrgenommen?

Leonard Grobien: Als extrem positiv. Mich überrascht immer, wie viel positive Rückmeldung wir danach bekommen und wie die Leute eigeninitiativ auf uns zukommen, um uns zu sagen, wie begeistert sie waren. Es kommt immer wieder vor, dass die Leute mit leuchtenden Augen vor uns stehen, weil es ihnen so gut gefallen hat. Das Stück hat eine nachhaltige Wirkung über den Abend hinaus. Es kann tatsächlich irgendetwas verändern. Viele Leute haben davon erzählt, dass sie jetzt mit einer neuen Perspektive, die Inklusion in ihrem eigenen Kosmos sehen oder das Leben von Menschen mit Behinderung anders wahrnehmen. Ich habe große Hoffnung, dass das tatsächlich, etwas im Umgang miteinander, im alltäglichen Leben und im grundsätzlichen Blick auf Andersartigkeit von Körpern und auf Verschiedenheit von Behinderung oder Nichtbehinderung im Miteinander irgendwie verändern kann.

Lotte Oberpichler: Wir beide haben unabhängig voneinander ein Geschwisterkind mit Behinderung. Ich finde berührend und schön, wie die Beziehung der Geschwister dargestellt wird.

Leonard Grobien: Meine ältere Schwester, die das Stück auch sah, hat es sehr getroffen. Es hat sie da erwischt, wo unsere gemeinsame Realität ist und es um meine potenzielle frühere Sterblichkeit ging. Denn kurz nach der Geburt, wurde gesagt, dass ich nicht älter als ein Jahr werden würde. In dem Stück ist das eine große Parallele, die wir in der Recherche und in den Gesprächen mit Valentin und Magdalena immer wieder bemerkt haben. Das ist gewissermaßen eine Ähnlichkeit, die wir teilen, welche bei mir eher am Anfang des Lebens stattgefunden hat und bei Valentin gerade allgegenwärtig ist.

Stella Ankermann: Es geht in dem Stück um den Umgang mit dem nahenden Verlust der eigenen Stimme. Was wäre, wenn Du Dir eine oder mehrere Stimmen aussuchen könntest?

Leonard Grobien: Ich kann mich eher mit dem Gedanken anfreunden, mir eine neue Stimme auszusuchen. Ich kann mir nicht vorstellen, pro Situation verschiedene Stimmen zu haben. Es wird für den Bruder praktisch zu einer Superkraft, mehrere Stimmen zu haben. Es gibt in der Inszenierung z.B. die Synchronstimme von Bradley Cooper. Keanu Reeves hat auch eine tolle Stimme. Man hört dann anders auf die Stimme und den Charakter, der sich in ihr widerspiegelt. Es gäbe viele schöne Optionen, die ich wählen könnte, vermutlich eher aus dem internationalen Bereich.

Stella Ankermann und Lotte Oberpichler: Vielen Dank für das Gespräch, lieber Leonard, und noch eine schöne Zeit beim Festival!

Ein Dialog zwischen Leonard Grobien als Bruder und Florentine Krafft als Schwester auf der Bühne. Leonard Grobien im Rollstuhl ist einige Meter vor ihr, schaut ins Publikum beim Sprechen; sie sitzt hinten auf einem kleinen Podest und schaut in seinen Rücken.
Leonard Grobien (vorn) gemeinsam mit Florentine Krafft (hinten) in “Die vielen Stimmen meines Bruders”, Foto: Heike Mondschein