Zerbrechlichkeit als Frage der Perspektive

Kritik in einfacher Sprache

Donnerstag, 14. November 2024 im Theater an der Parkaue. Ich besuche die Performance „Zer-brech-lich“ beim NO LIMITS-Festival. Es ist ein Musik- und Tanztheaterstück von Alessandro Schiattarella. Auf der Bühne zu sehen sind die Performerinnen Victoria Antonova, Alice Giuliani und Laila White (von der Staatsoper Hannover). Es ist auch noch eine Stimme aus dem Off zu hören, die „Linda“ genannt wird. Das Bühnenbild ist sehr schlicht gestaltet. Dafür sind die Kostüme sehr auffällig. Sie tragen zum Beispiel einen Glitzeranzug oder eine lilafarbene Felljacke.

Auf verschiedene Weise wird hier Barrierefreiheit ermöglicht: Eine halbe Stunde vor der Aufführung gab es eine Haptic Access Tour, also eine Tastführung, zu erleben. Dabei konnte das Bühnenbild erfühlt werden. Bei der Relaxed Performance später kann sich das Publikum zwischendurch bewegen und Geräusche machen. Das wird auch von vielen im Publikum genutzt. Immer wieder sind begeisterte Zurufe und lautes Jubeln zu hören. Der englische Text, den die Performerinnen sprechen, wird auf Schaumblöcken zum Mitlesen projiziert und übersetzt. Auch eine Audiodeskription ist eingebaut. Die drei Performerinnen beschreiben jede Tätigkeit auf der Bühne genau. Ebenso wie sich selbst und das Bühnenbild. Linda, die Stimme aus dem Off, übersetzt das ins Deutsche.

Die drei Performerinnen stehen nebeneinander auf der Bühne. Man erkennt nur ihre dunklen Umrisse. Sie schauen sich an. Victoria Antonova hält ein Mikrofon, in das Alice Giuliani spricht. Laila White stützt sich auf zwei Krücken ab.
Szenenbild mit dem Trio von „Zer-brech-lich“, Foto: Michael Bause

Zu Beginn des Stücks tritt Alice Giuliani erst einmal alleine auf. Sie singt: „Watch me how I break apart (Sieh mir zu, wie ich zerbreche)“ Während dieses Lieds treten die beiden anderen hinter den Wänden hervor. Alle drei tanzen dann mit zackigen Bewegungen. Fast so, als würden sie ausprobieren, ob sie tatsächlich zerbrechen können. Dann beginnt Victoria Antonova auf den wackeligen Rollbrettern zu balancieren. Währenddessen werden die von den anderen beiden verschoben. Ich bekomme ein mulmiges Gefühl, weil ich selbst nicht den besten Gleichgewichtssinn habe. Sie singt dabei „I know that I will fall (Ich weiß, dass ich fallen werde)“. Ich bin erleichtert, dass das nicht passiert. Denn obwohl sie das Publikum gewarnt hat, dass sie es liebe, Dinge zu zerbrechen: Gläser, Wände und Vorurteile gern, ihre eigenen Knochen gehören hier zum Glück nicht dazu. Facetten von Zerbrechlichkeit unterschiedlicher Körper und Gegenstände bilden den roten Faden in der Performance. In insgesamt fünf Liedern geht es um Zerbrechlichkeit. Sie regen dazu an, über die eigene Verletzbarkeit nachzudenken. Denn zerbrechlich sind wir alle, kein Mensch ist unsterblich.

Die Selbstbeschreibungen der Performerinnen bleiben mir in Erinnerung. Das liegt daran, dass sie mir ungewöhnlich vorkommen. Victoria gibt ihre Größe zum Beispiel in „elfeinhalb Smartphones“ an. Und sie beschreibt sich selbst als „real badass“. Manche Menschen können sich das eben besser vorstellen eine abstrakten Zahl wie 1,70 Meter. Ich merke, dass es hilfreich sein kann, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Laila White, die „Mai“ genannt wird, dankt ihren blauen Krücken. Sie beschreibt sie als großartig und wunderschön. Sie erzählt auch, dass sie ihren Narben Namen gegeben habe. Alice Giuliani verrät, dass eines ihrer Beine gerne springe und hüpfe, während das andere lieber „schlafe“. Und dass eines ihrer Ohren gut zum Zuhören, das andere eher gut für Schmuck sei. Alle drei gehen hier soo liebevoll mit ihrem „anders“ aussehen um.

Victoria Antonova sitzt vor einem grünen Hintergrund (Greenscreen). Sie trägt eine grüne Hose und ein flauschiges lila Oberteil. Ihre Haare sind blond und kurz. Sie hat die Arme zu den Seiten ausgestreckt und lehnt den Oberkörper auf die rechte Seite. Sie lächelt in eine Handykamera. Diese ist in einem Leuchtring vor ihr befestigt. Es ist eine ausgelassene Fotoshooting-Situation.
Victoria Antonova vor dem Greenscreen (der grünen Wand), Foto: Michael Bause

Am Ende gibt es eine Szene, in der die Drei vor einen Greenscreen performen. Damit ist eine grüne Wand gemeint. Mit verschiedenen Filtern stellen sie mit Hilfe ihrer Smartphones auf einer Leinwand unterschiedliche Tiere oder Figuren da. Manchmal einzeln, manchmal auch gemeinsam. Schon vorher haben sie erwähnt, dass sie gemeinsam einen Organismus bilden können. Und so entstehen in der Projektion aus einzelnen Körperteilen zusammengesetzt ganz neue Wesen.