Der österreichische Choreograf, Performer und Theoretiker Michael Turinsky beschäftigt sich in seinen Arbeiten häufig mit Fragen der Materialität und der Wahrnehmung des menschlichen Körpers. „Soiled“ heißt ins Deutsche übersetzt „schmutzig“, bedeutet im Englischen aber auch „geerdet“. Für seine gleichnamige Produktion verbindet Turinsky die Philosophie des Anthropozäns mit Erfahrungen, die mit seiner eigenen körperlichen Behinderung verbunden sind. Im Programm ist die Rede davon, dass er eine „Utopie des Menschlichen“ entwirft, in der Körper miteinander, bodennah verbunden sind.
Die ersten zwanzig Minuten vergehen in völliger Dunkelheit. Diese wird auditiv nur durch Musikklänge und einen englischen, gesprochenen Text unterbrochen. Darin dreht es sich um das Versagen der menschlichen Zivilisation, darum, dass wir alle zerlegt und kompostiert werden müssten, weil Menschen auf der Suche nach Überfluss den Planeten zerstören, von dem sie stammen. Die Dunkelheit schafft Tiefe und lässt die Zuschauer*innen in die Welt der Gedanken eintauchen. Waren wir als Kinder näher an der Natur, näher an der Wahrheit? Und verloren wir den Kontakt zum Lebendigem, weil wir uns über die Natur stellten?
Das Thema der Inszenierung kreist also ums große Ganze. Hierfür wurde eine Art Pool, mit einer weißen Plane überzogen, entworfen. In diesem bewegen sich drei Performer*innen – von oben bis zur Hüfte nackt – über eine Stunde lang auf dem Grund des Beckens. Von oben tropft aus einem gelb-orangene, gewölbten Tuch Kürbiskernöl auf sie herab. Als Publikum hat man den scharfen Öl-Duft die ganze Zeit in der Nase. Die Schauspieler*innen sind hingegen irgendwann völlig mit Öl bedeckt. Dadurch werden ihre Körper glitschig und „schmutzig“, sie kriechen und winden sich auf dem Boden des Beckens, rutschen weg, bewegen sich von einer Körperseite zur anderen, stoßen sich gegenseitig voneinander ab. Ihre Körper orientieren sich in einer vertikalen Bewegungsweise. Sie erschaffen neue Wege, sich zu bewegen und miteinander zu interagieren. Das Öl wirkt wie ein Schutzfilm, sodass sie nicht in der Lage sind, sich selbst oder anderen Schaden zuzufügen.
Hierin zeigt sich tänzerisch die konzeptionelle Idee, Menschen in einen anderen Lebensraum zu versetzen, wo sie das gewohnte, aufrechte Gehen nicht anwenden können, sondern mehr Bodenkontakt haben. Manchmal wirken sie etwas hilflos, wie Kinder, manchmal auch wie andere Kreaturen, Würmer zum Beispiel. Sie wirken sehr bei sich. Menschen in einer solchen Umgebung müssen lernen, auf neue Weise mit ihren Körpern umzugehen. Und so scheint es, als ob eine neue Welt entstehen würde.
Alle Bewegungen der drei Performer*innen Sophia Neises, Liv Schellander und David Bloom werden von einer Live-Audiodeskription von Monique Smith-McDowell begleitet. Diese benennt die wesentlichen, visuellen Aktionen, und erzeugt zugleich eine eigene poetische Sprache hierfür. So wird die Audiodeskription gleichsam zur vollwertigen Mit-Performerin in der Aufführung. Alle Aktionen werden rhythmisch beschrieben. Zusätzlich gibt es weitere Geräusche und Klänge. Mal Geräusche aus der Natur, mal düstere, beängstigende, mal treibende Melodien, die prägend sind für die Atmosphäre des Abends.
Ich bin im Anschluss überrascht von dem, was ich gesehen habe. An manchen Stellen stößt der Geruch des Öls ab, und manche Szenen sind zu lang, aber alles zusammen lässt mich darüber nachdenken, wie eine andere Lebensweise aussehen könnte. „Soiled“ entwirft das Bild menschlicher Körper, die Erinnerungen, Vergangenheit und Zukunft bergen. Eingetaucht in das „schmutzige“ Becken, wirken sie, obwohl sie in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, frei und glücklich. Eine freudige Umgebung einer neuen Zukunft?