Zusammen ist man weniger allein

Beim Anschauen der Arbeit „DIS_move“ von Saša Asentić/Alexandre Achour/Tanzerei/Per.Art & Guests kann man sich noch einmal in die Atmosphäre während der Zeit des Lockdowns hineinversetzen. Das internationale Videoprojekt ist eine Online-Tanzarbeit von Künstler*innen mit und ohne Lernschwierigkeiten aus Berlin, Novi Sad und Lyon. In 14 kurzen Videos ist jeweils immer eine Person zu sehen (oder zu hören). Bis zu vier Videos kann man anklicken und dann verteilt auf vier Kacheln gleichzeitig abspielen lassen. Und das nach Lust und Laune noch bis zum Festivalende von NO LIMITS am 19. November 2022 auf der digitalen Bühne HAU 4. Die Online-Zuschauenden können sich in der Spielerei mit den Videos verlieren und dabei immer wieder neue Kombinatioen ausprobieren.

Gekennzeichnet sind die Videos auf der Startseite des Projekts mit den Rubriktiteln „Tanz“ oder „Musik“. Was wir dann sehen können, ist eine vielseitige Darbietung von Bewegungen in verschiedenen öffentlichen und privaten Räumen, die von den je mitausgewählten Musizier-Klängen begleitet werden. Es entstehen so buchstäblich Bewegungsspielräume, die wir mitgestalten können.

Screenshot „DIS_move“, © Saša Asentic

Die Videos sind an unterschiedlichen Orten aufgenommen: mal draußen in der Natur, mal drinnen in den – so scheint es zumindest – heimischen Zimmern der Performer*innen. Mal sind wir mit der Kamera nah dran und sehen nur einen Bildausschnitt vom Körper und mal sind wir weit weg durch Einstellungen, in denen man die Körper beim ersten Hinsehen fast suchen muss. Auffallend oft sehen wir Hände: sie performen einen eigenen Tanz oder sind am meisten in Bewegung. Hände können hier nicht nur als Körperteil verstanden werden, sondern auch als Verbindung oder als Antenne zu anderen Körpern. Mit Ihnen kann körperliche Nähe hergestellt oder kommuniziert werden. Wie wir unsere Hände bewegen, sagt etwas über unsere Stimmung und vielleicht auch ein stückweit über unseren Charakter aus. Jede*r hat seine individuelle Art der Gestik und dies kann hier beobachtet werden.

Es gilt bei der Auswahl der Videos nicht nur nach dem als am harmonischsten empfundenen Zusammenspiel zu suchen, sondern auch vermeintlich nicht passende Videos gemeinsam abzuspielen, wie z.B. die verschiedenen Musizier-Videos, bei denen sich die Klänge dann entsprechend überlagern. In der Zusammenstellung lassen sich beispielsweise die Unterschiede im Tempo erkunden und einander gegenüberzustellen. Und das macht schlicht und ergreifend Spaß und sollte man sich nicht entgehen lassen. Durch die anfangs vielleicht ungewohnte Möglichkeit, den Videos proaktiv eine eigene Dramaturgie zu verleihen, kann ein wenig Kreativität aus unseren vollen Köpfen herausgekitzelt werden.

Screenshot „DIS_move“, © Saša Asentic

„DIS_move“ ist zum einen ein unterhaltsames Format und regt zum anderen auf vielen Ebenen zum Nachdenken an: Ob man denselben Rhythmus aus einigen Videos herauszuhören glaubt, weil die Künstler*innen zwar allein performen, aber vielleicht doch in dem Bewusstsein des großen Ganzen performen? Wer schaut wohl gerade dieselbe Kombination an? Was fühlen andere Zuschauer*innen in diesem Moment? Dass man sehr viel Unterschiedliches in die Videos und Bewegungskombinationen hineinlesen kann, ist die Stärke von „DIS_move“. Das Rätseln und Reflektieren halten mich so lange im Bann, bis es draußen schon wieder dunkel wird und ich beschließe, jetzt wirklich den Laptop zuzuklappen und einen Moment nur mit mir zu sein. Denn wir wissen, draußen sind alle und wir sind drinnen nicht allein.